Stephan Berg, Intendant des Kunstmuseum Bonn, 2012
Seit Anfang der 90er Jahre thematisiert Heike Weber das Medium Zeichnung in einem sehr umfassenden Sinn als räumlich-installative Eingriffe, die den zeichnerischen Prozess über das konventionelle Bildformat hinaus in Richtung einer performativen Raumzeichnung erweitern. Ein wesentlicher Aspekt des Werkes bezieht sich dabei auf raumgreifende Bodenzeichnungen, bei denen eigens verlegte weiße PVC-Böden mit zumeist roten Permanentmarkerlinien überzogen werden. So klar und nachvollziehbar das Verfahren ist, so komplex und ambivalent ist andererseits die Wirkung. Da sich die Linie in allen Fällen am bestehenden Raum orientiert, und diesem bis in jeden Mauervorsprung in jede Unregelmäßigkeit hinein folgt, funktioniert sie tatsächlich indexalisch, zielt also auf eine tatsächliche Verbindung mit der Realität und erscheint als Moment der Verortung. Indem die Künstlerin diesen Akt des zeichnerischen Nachvollzugs eines Raums (zumeist) von außen nach innen permanent wiederholt und dabei auch jede Störung der ursprünglichen Linie getreulich wieder aufgreift, verwandelt sich der Verortungsgestus aber auch in sein Gegenteil und wird zur Erfahrung von Labyrinthik und Desorientierung. Wie Wellen, die von einem ins Wasser geworfenen Stein ausgehen, scheinen sich die roten Lineaturen in mäandernd kreisförmigen Bewegungen von ihrem Zentrum aus in den Raum auszubreiten, obwohl sie - jedenfalls in den meisten Fällen - tatsächlich von außen nach innen verlaufen, den Raum also klaustrophobisch verengen. Heike Webers Arbeit „Bodenlos“ für den Flur- und Cafeteria-Bereich des Hauses, ist der einzige Beitrag, der auf Permanenz angelegt ist, und im Zusammenhang mit der grundlegenden Renovierung und Neuausstattung des Cafes entwickelt wurde. Die Zeichnung, die Heike Weber mit einem roten Permanent-Edding (??) auf einem drei Millimeter dicken, weißen gegossenen PU-Boden aufbringt, zeigt erneut die produktive Kraft ihres Verfahrens. In einem ersten elementaren Sinn ist die Zeichnung hier tatsächlich autonomer Selbstausdruck, nichts anderes als Linie, die nichts beschreibt, als sich selbst, und ihre Fähigkeit, die Welt, die sie durchzieht in ein Gebiet diesseits und jenseits ihres Strichs zu teilen. In der seriellen Wiederholung dieser Linie reflektiert die Zeichnung aber auch Aspekte eines maschinenhaften Automatismus, der im selben Moment durch die jederzeit erkennbare individuelle Handschriftlichkeit des Linienauftrags wieder relativiert wird. Ihre zentrale Prägung erhält die Linie allerdings zweifelsfrei durch ihre Verknüpfung mit der umgebenden Architektur. Auf jedes Element des architektonischen Grundrisses, jede eingezogene Säule, jede Bodenleiste, reagiert die rote Edding-Linie mit der Sensibilität eines menschlichen Seismografen. Die Architektur wird durch diese Lineaturen gewissermaßen erst in ihrer Grundstruktur sichtbar gemacht, und dabei sofort auch wieder verunklärt und ihren statischen Fundamenten erschüttert. Das Schwanken und optische Schlittern, das diese eng gestaffelten, hypnotisch rot leuchtenden, konzentrischen Linien erzeugen, beinhaltet einen deutlichen Einspruch gegen die Vorstellung einer fest gefügten, eindeutig lesbaren Realität. Wer sich als Besucher den Weber´schen Bodenfluchten aussetzt erlebt das am eigenen Leib, als Gefährdung des festen Standpunktes, als leichte Schwindelgefühle weckendes Schweben und als Halluzination räumlicher Abgründe. Und das künstlerische Ich, das diese Erschütterungen aufzeichnet, ist natürlich selbst Teil dieses Prozesses. Kein distanzierter Regisseur, sondern ein Akteur, der seine eigene Dislozierung in diesen Boden mit einschreibt. Ganz deutlich will diese Arbeit nicht in erster Linie zerebral und als distanziertes Bild wahrgenommen werden, sondern als räumlicher Teil unseres Erfahrungszusammenhangs. Aus dem strikt zweidimensionalen Medium der Zeichnung entsteht ein eminent physisches Erlebnis, mehr noch: die physische Dimension der Architektur, des konkreten Raumes, die uns so selbstverständlich umgibt, das wir sie in der Regel gar nicht mehr bewusst wahrnehmen, wird durch den zeichnerischen Eingriff erst wieder richtig begreifbar .Insofern ist diese Zeichnung kein ornamentales Element, das zur Architektur schmückend, ergänzend oder kommentierend hinzutritt, sondern eine Setzung, die mit der Kraft begabt ist, räumliche Parameter tatsächlich zu verändern.