Stendhal im entgrenzten Raum
Barocke Wäscheleinen
Bei Heike Weber geraten entweder Boden und Decken ins Rutschen oder fliegen Körper durch die Luft.
Mit Wäscheleinen oder Haarnetzen, mit Teppichboden oder mit Permanentmarker auf großflächig ausgelegtem
PVC entstehen dabei raumgreifend raumbezogene Arbeiten, die mit ihrer beiläufig unaufgeregten Materialität
gleichermaßen zeichnerisch wie skulptural argumentieren. Ihren bewusst eingesetzten Ortsbezug unterläuft
ein fast barocker Moment der Entgrenzung: eine Dynamik, die Raum wie Betrachter gleichermaßen Besitz
ergreift. Die spezifischen Eingriffe in die Natur der vorgefundenen Räume sind dabei immer höchst
marginale Formulierungen, die sich dem Raum als zweite, grafische Haut einschreiben. Der Idee des
barocken trompe l’oeil verwandt werden die Gegebenheiten des Raums zugleich bestätigt und verunklärt.
So werden ganze Räume mit neutralem PVC ausgekleidet, um dann mit einfachen, farbigen Permanentmarkern
und einer simplen zeichnerischen Geste in begehbare – und in ihrer Begehbarkeit langsam der Zerstörung
anheim fallende – Bildräume verwandelt zu werden. Von den realen Gegebenheiten des Raumes, Pfeilern
Treppen oder Türgewänden ausgehend, die immer die Matrix der Arbeit bilden, werden Wand- und
Bodenflächen mit einer nervös vibrierenden Lineatur überzogen. Wie von einem horror vacui getrieben,
wird in unzähligen Arbeitsstunden das Weiß der Wandflächen oder des Bodens gestaucht und verdichtet
und somit zum integralen Teil der Arbeit gemacht. Die dicht an dicht Fläche und Raum dynamisierenden
Linien, erinnern dabei an sichtbar gemachte Schallwellen ebenso wie an vulkanische Schichtungen,
Wachstumsringe oder konzentrische sich ausbreitende Wellen auf der Oberfläche eines ansonsten unbewegten
Sees.
Der jeweils gewählte Ort ist somit Ausgangspunkt und Ziel zugleich der zeichnerischen Aneignung Heike
Webers, was aber von diesen Räumen bleibt, hat mit Klarheit und überschaubarkeit weit weniger zu tun
als mit einem permanent sich erweiternden und entgrenzenden Gefüge aus Raum und Bewegung. Webers Räume
sind vor allem subtil inszenierte Labyrinthe, in denen die beharrlich über den Raum sich ausdehnende
Geste in ein Netzhaut und Gleichgewichtssinn torpedierendes Feuerwerk umschlägt.
In der im Jahre 2000 entstanden Arbeit „white out“ verwandelt sich die Wände des Ausstellungsraumes
in ein filigranes Panorama aus Wäscheleinen und Stecknadeln, eine skurrile Abwicklung endloser Bergketten,
die zwischen Zeichnung und Bildträger eine faszinierende Schattenzone bildet: Eine hintergründiges
Sehangebot im Weitwinkelformat, das es dem Betrachter überlässt, ob er die traumverloren mäandernden
Endlosschlaufen als topografische Ortsbeschreibung nutzt oder das Panorama in seine autonomen Bestandteile
auflöst – Nadeln und unterschiedliche lange Leinenstücke. Ergänzt wird dieses Bild der Bergwelt im Geiste
der Wäscheleine durch ein Video, das eine Skiabfahrt aus der Sicht des Körpers, d.h. aufgenommen mit einer
mitgeführten Kamera, zeigt. Der Betrachter, der sich auch hier mitten im Bild wiederfindet, erfährt so
quasi im Selbstversuch wiederum jene eminent körperliche Qualität, die dem der zeichnerischen (Er)Fassung
der Welt verpflichteten Werk Webers immer zueigen ist.
Was als zeichnerisch, raumgreifende Unternehmung ihren Ursprung nahm, gewinnt so immer weiter an
illusionistischer Dynamik. Die Wände geraten in ins Schwingen und die eingangs berufenen Körper scheinen
tatsächlich den Boden unter den Füßen zu verlieren. ähnlich wie in „white out“ werden in Arbeiten wie
„Ikarus“ im Kunstmuseum Bonn oder der eigens für Baden-Baden entstandenen „Fliegenden Frau“ aus mit
viel Lust am zeichnerischen Schwung auf Papier aufgetragener Fingerfarbe ephemere, himmelwärts strebende
Figuren, die auf dünnen Nadeln hängend die Wand besetzen: Der Betrachter findet sich der Tradition barocker
Deckengemälde folgend in einem perspektivischen Taumel wieder, der ganze Räume in Bewegung versetzt und
mit einer einfachen Verschiebung des Augpunktes den Ort und seine Wahrnehmung neu formuliert.