Dazwischen der leere Raum
Vor allem eine Maßnahme prägt sich ein, die sich in Heike Webers Werk wiederholt, oder besser:
immer wieder neu findet. Mit breitem Filzstift sind Linien in konzentrischen Kreisformen auf dem Boden
gesetzt, befinden sich teils auch an der Wand und an der Decke, ausgehend von der architektonischen
Situation. Die Linien legen sich mit gleichmäßigem Abstand umeinander, Heike Weber hat sie von Hand
gezogen und die Unregelmäßigkeiten, Ausbuchtungen in der Folge aufgenommen. Die Fläche gerät wellenartig
in Schwingungen, wirkt selbst räumlich, bei anderen Arbeiten wären an Diagramme in virtueller
Dreidimensionalität zu denken. Obwohl der Boden stabil und fest ist, wird das Raumgefühl neu ausgelotet;
der Betrachter, als Teil der Arbeit, wird sich hier seiner Körperlichkeit und der eigenen Bewegungen um
so mehr bewußt: wie auf brüchigem Eis.
Die Suggestion von Situationen des Schwindels, erzeugt mit denkbar einfachen Mitteln, wie auch das
Interesse an – freier unmittelbar handschriftlicher – Zeichnung, die zwischen abstrakt und konkret
oszilliert, schließlich die Erzeugung von Leerstellen und der Umgang mit ihnen – schon das zieht sich
durch alle Werkgruppen von Heike Weber, verdichtet dieses zu einer Konzeption, die sich gerade in
unterschiedlichen Medien äußert. „Ich erlaube mir, jegliche Mittel zu verwenden“, hat sie einmal in
einmal in einem Interview gesagt ( Kat. „Vertigo“, Ursula Blickle Stiftung, Kraichtal, Magazin4,
Bregenz 2000). Zum Beispiel Videofilme, mehr oder weniger kurze Sequenzen. Im Frühjahr war bei Otto
Schweins eine Sequenz von 4 sec – ohne Ton – zu sehen. Gefilmt aus einem Heißluftballon, laufen
Menschen zwischen Rasenstücken und winken nach oben. Das Schwarz danach dauert 60 sec., dann folgt
wieder die Handlung und so fort. Das Schwarz aber legt sich wie ein Rahmen um die Handlung, fokussiert
diese noch, verleiht ihr Gewicht. Ein Bild, das wie eine Erinnerung im Schlaf kurz aufscheint…
Aus dem Jahr 1997 datiert die erste Raumzeichnung, die Heike Weber da noch ausschließlich auf die Wand
gesetzt hat. Eigentlich war dies ein negativer, abtragender Vorgang: zuerst wurde die Wandfläche mit
Tinte blau eingefärbt und Heike Weber hat die Linien mit Tintenkiller – einem „Instrument“ der
Kindheit – gezogen. Das Handschriftliche erweist sich als sensibles Reagieren auf die feste Wand,
erzeugt noch eine Stofflichkeit, die mit der ungleichmäßigen Dichte beim Löschen des Blau und im
Ausbleichen ephemere Züge trägt. Die Linien aber liegen tiefer als die Farbe. – Natürlich schloß diese
Arbeit an Früheres an (an die Kästen aus dünn geschliffenen Styroporflächen oder die dichten Wände aus
Haarnetzen auf Stecknadeln, die mit einer Fragilität der Oberfläche und dem visuell Verschwimmenden der
Struktur agieren) und bereitete Künftiges vor. So entstand, erstmals 2000, das Panorama eines
Gebirgszuges aus roter Wäscheleine, die in Abstand von der Wand mit Nadeln befestigt ist und in ihrem
flüchtigen Auf und Ab an eine Handzeichnung erinnert. Aber die rote Farbe abstrahiert das Geschehen;
dieses löst sich weiter auf, wenn man die Linien von der Seite sieht. In Bezug auf die Entstehung läßt
das (wie auch Stefan Berg schreibt, der wieder Doris Krystof zitiert) an die Praxis des Bergsteigens
mit einem Hangeln von Eisen zu Eisen denken und wirkt von der Seite selbst wie eine halsbrecherische
Skiabfahrt, deren Strecke durch die Markierungen eingezeichnet ist.
Stabilität, Balance und Körperlichkeit stehen im Zentrum von Heike Webers Arbeit. Seit Herbst letzten
Jahres äußert sich dieses ebenso in figürlichen Arbeiten, nun mit fadenziehendem Farbstoff auf
Silbernadeln: zu sehen ist ein Astronaut, später sind es Ikarus und Adonis. Der Absturz ist hier ebenso
vorprogrammiert wie auf zwei komplementären Fotografien, die ein Feuerwerk zeigen. Der Traum vom Fliegen
endet auf den Boden der Tatsachen.