Petra Oelschlägel
Heike Weber
Grundlage der Arbeiten von Heike Weber bildet ein skulpturales Denken, das sie im Medium der Zeichnung immer wieder aufs Neue überprüft. 1998 fertigte sie als Salonstück eine Bodenzeichnung, für die sie den mit weißem PVC ausgelegten Salon mit roten Linien überzog, die den Umriss des Raumes aufnahmen und in konzentrischen Bewegungen entlang der Konturen durch den Raum führten. Die Linien bewegten sich im Raum und bewegten den Raum; die Künstlerin hat diesen Raum in seiner Gesamtheit ins Schwingen versetzt. Obwohl abstrakt, als parallele, den Schwung der Hand aufnehmende Linien, drängten sich vielfältige Assoziationen auf, die zum Teil Bezug auf die Landschaftsmalerei an den Wänden nahmen: Wellen, Wogen und andere aus der Natur abgeleitete Phänomene oder aber auch von topografischen Karten herrührende Wellen oder Schallwellen. Wurde es auch schwierig, den Blick auf die einzelne Linie zu fokussieren, so band die Raumzeichnung den sich darin bewegenden Betrachter doch in ein enges Miteinander von Figur und Raum ein. Der Boden als Träger der Zeichnung nahm eine eher untergeordnete Rolle ein, war jedoch auch nicht wegzudenken, sondern trat hinter der Linie zurück. Diese führte ein verunsicherndes Eigenleben und verschlang den Betrachter geradezu, so dass er die Orientierung auf einem schwankenden Grund, mehrfach durch die Spiegelungen gesteigert, verlor. Heike Weber hat sich fortan weiterhin konsequent mit der Verselbständigung der Linie beschäftigt. Bei der Befreiung der Linie vom Grund hat sie mehrfach Stoffe wie Wäscheleine, Teppichboden, Windowcolour und Silikon eingesetzt, die nicht zu den geschätzten und arrivierten Materialien der Kunst zählen, und Dimensionen gewählt, die den Betrachters ob des physischen Einsatzes allein schon in Staunen versetzen.
Für die von zwei Gipsabgüssen des Sophokles und der Herkulaneserin dominierten Halle im ehemals privaten Bereich der Villa Zanders hat sie einen Kilim aus weißem Silikon erstellt, der eine weitere Facette weißen Lichts in diesen architektonisch unverwechselbaren Raum trägt. In diesem Ambiente hat sie ein auf traditionellen Ornamenten türkischer Teppiche basierendes Lineament ausgebreitet, das ohne Untergrund auf dem Parkett liegt, bzw. über ihm schwebt. Aus feinen Silikonfäden gesponnen wirkt der „Kilim“ wie ein gigantisches Spitzendeckchen, das sich in die architektonischen Gegebenheiten gespannt hat. Der Raum ist besetzt, von Energie geladen, und kann nicht mehr durchschritten werden. Achtungsvoll geht man an seinen Umrisslinien entlang und wird sich bewusst, dass die Funktion eines Teppichs – weicher, schmückender Bodenbelag zum Begehen oder gar Beten – negiert ist. Der Betrachter glaubt, eine symmetrische Komposition zu erkennen, und es wird erst beim zweiten Blick deutlich, dass dies die künstlerisch-kreative Aneignung von Ornament ist, die weder an einer Achse ausgerichtete ist, noch einer klaren Regel folgt. Abhängig vom Lichteinfall wirkt das faszinierende Material der Linien wie frischer Zuckerguss, frostige Eiskristalle oder kostbare Spitze. Das Gewebe geht einen Dialog mit der von einer klaren, aber uns fernen Formensprache dominierten Architektur ein, der den Betrachter verunsichert und gleichzeitig fasziniert. Gerade das Schwelgen im zeitlosen, vom Symbolgehalt befreiten Ornament, das die Gedanken auf die Reise in den Orient oder zu den Märchen aus Tausendundeiner Nacht mitnimmt, enthebt die Bodenzeichnung dem hier und jetzt, verzuckert und verzaubert und ist doch ganz in der Tradition der Frage nach dem räumlichen Bezug der Linie, die die Künstlerin bereits vor Jahren in ihren Allover-Bodenzeichnungen gestellt hat. Mit „Die Fliegenden“ hat Heike Weber einen weiteren Beitrag zur Linie im Raum geleistet. Einem barocken Impetus folgend, hat sie vor etwa zehn Jahren begonnen, Bilder aus der realen Welt, häufig bekannte Themen oder Kompositionen aus Geschichte und Kunstgeschichte, in eine neue Sprache zu übertragen. Die Körper auf ihre Konturen reduziert, hat die Künstlerin das elastische Material der Fenstermalfarbe eingesetzt um „Amor und Psyche“ oder den „Ikarus“ zu interpretieren. Dabei hat sie es geschafft, den Flug oder Sturz, den Schwebezustand zwischen Existenz und Auflösung durch die Negation von Statik und Unverrückbarkeit auszudrücken. Befestigt mit Nadeln, losgelöst von der Wand als Träger und Haftgrund, hat sie die Linie wahrhaft befreit und den dargestellten Personen zum realen Flug verholfen. Für ihre Installation in Bergisch Gladbach hat Heike Weber zwei mehr als lebensgroße Körper mit ausgebreiteten Armen in die Rundung eines relativ kleinen Raumes platziert, die – verstärkt durch die zwischen beiden befindlichen Fenster – in die Freiheit fliegen. Sie stützen nicht abwärts, sondern eher himmelwärts, als sei dies das natürlichste von der Welt. Reduziert auf ihre Konturen, unterstützt von wenigen weiteren Lineamenten, die Muskeln, Haare, Kleidung oder Körperfalten andeuten, ist die angetrocknete, aber immer noch Flexibilität und Elastizität implizierende rote Spur mit einem Abstand von einigen Zentimetern vor der Wand fixiert. Der gesamte Raum ist vom Flirren der Linie ergriffen, ein Eindruck, der durch die architekturgegebene Rundung der Wand noch verstärkt wird. Hier entsteht nicht nur ein Luft- und Schattenraum, sondern ein Energiefeld, das die vermeintlich flächige Zeichnung in eine raumkonstituierende Skulptur transformiert.