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WER SIND WIR?

Und woher stammen bestimmte Aspekte unserer Kultur?
Das „multiversum“ der Künstlerin Heike Weber.

(BU:) Heike Weber: „multiversum“, 2010, Teppichbodenschnitt, Installationsansicht Marta Herford 2010, Foto: Hans Schröder © Heike Weber, Marta Herford

(Text:) „Der Begriff des ‚Orients’ verweist auf ein widersprüchliches Verhältnis zwischen westlichen Gesellschaften und dem Nahen Osten. Ist dieses Verhältnis heute vielfach geprägt durch eine ängstliche Distanz gegenüber einer fremden Welt, so sind vor allem in Verbindung mit dem Begriff des Orients auch romantisierende Vorstellungen mit einer Vorliebe für das Exotische lebendig. Doch jenseits dieser klischeebehafteten Vorstellungen offenbart ein genauer Blick auf die Geschichte des Ornaments eine jahrhundertealte Beziehung zwischen westlichen und östlichen Bildkulturen.“ (Museum Marta Herford)

Unter dem Ausstellungsthema „Wir sind Orient – Zeitgenössische Arabesken“ versammelte das Museum Marta Herford von Dezember bis Februar fünf zeitgenössische westeuropäische Künstler, in deren Werk das Ornament eine zentrale Rolle spielt. Unter ihnen: die Künstlerin Heike Weber, die mit ihrer Rauminstallation „multiversum“ Boden und Wände eines der Ausstellungsräume mit einem Liniengeflecht aus rotem Teppichboden überzog. Wir haben uns mit Ihr über Ihre Arbeit unterhalten:

Frau Weber, sind Sie Orient?

Heike Weber: Ich glaube, ich bin durch und durch (aus dem) Okzident. Allerdings inspiriert mich der Orient enorm. Ein NRW-Stipendium 2006/07 in Istanbul hat mir viele neue Impulse für meine Arbeit gegeben. Ich betrachte die östliche Bildersprache mit meinem westlichen Blick.

In Ihren Arbeiten führen Sie Betrachtern das Eigene im Fremden vor. Was bewegt sie dazu?

Heike Weber: Sie beziehen sich bei der Frage auf die Silikonteppiche, für die ich postkartengroße Souvenir-Teppiche aus Istanbul als Vorlage verwende. Diese benutze ich rein formal, denn für die Ornamentik verwende ich rein westliche Motive und vermeide jegliche Symbolik. Die „kilims“ haben in einer Ausstellung in Istanbul und auf der Mardin Biennale große Irritation hervorgerufen, da die türkischen Betrachter natürlich ihre gewohnte Symbolik in den Zeichen gesucht, aber nicht gefunden haben. Ich verwende das Ornament als zeichnerischen Ausdruck und nicht als inhaltliches Symbol. Die Kraft der Arbeit liegt in ihren profanen Mitteln und deren Verwandlung im Zusammenspiel mit dem Raum. Der Raum wird durch meine Eingriffe zur Skulptur.

Erzählen Sie uns bitte etwas über Ihre Installation „multiversum“, die kürzlich im Museum Marta Herford zu sehen und zu begehen war.

Heike Weber: Großartigerweise hat mir die Firma Vorwerk die Realisierung dieser raumgreifenden Arbeit ermöglicht. Ich habe einen kompletten Saal (1200 x 1000 x 1200 cm) mit einem blutroten Teppichboden-Scherenschnitt überdeckt. Dafür habe ich 260 qm Veloursteppichboden der Qualität „Modena“ zusammen mit meinem Assistenten in einen Scherenschnitt verwandelt. Ausgangspunkt der „Zeichnung” waren Gummiringe, die ich gescannt habe. Aus der Vielzahl an Kringeln habe ich am Computer eine „all over structure” für den organisch gebogenen Raum von Frank Gehry entwickelt. Die begehbare Zeichnung ist am Boden verdichtet und löst sich bis in eine Höhe von 12m auf. Der Betrachter wird körperlich in die Raum-Skulptur eingebunden und hochgesogen. Er ist von der Zeichnung umschlossen und somit ein Teil davon. Nur durch ihn wird die Arbeit fühl- und erfahrbar.

Die Wissenschaft vermutet, dass nicht nur eins, sondern mehrere Universen existieren, und die grafische Anschauung ähnelt meiner Zeichnung sowie meiner Idee. Ein Universum ist nicht fassbar, so wie sich auch meine Arbeit mit ephemeren Zuständen beschäftigt. Die Entgrenzung des Raumes ist mein Thema.

Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Vorwerk Teppich?

Heike Weber: Das Mutterhaus der Firma Vorwerk ist in Hameln ansässig, und deshalb gab es gleich einen guten Kontakt zwischen dem Museum Marta und der Firma Vorwerk. Vorwerk hat die Arbeit komplett gesponsert. Sonst wäre eine Finanzierung und somit eine Realisierung der Arbeit nicht möglich gewesen. Allerdings hatte ich selber auch den Wunsch geäußert, mit Vorwerk zusammenzuarbeiten, da ich schon früher Vorwerk-Teppichböden für Bodenzeichnungen für das Museum Morsbroich in Leverkusen (2004) und für die Ausstellunghalle Zeitgenössischer Kunst in Münster (2007) verwendet hatte. Die Qualität und die Farbauswahl überzeugen mich.

Welche Eigenschaften waren Ihnen bei der Auswahl des Materials / des Teppichs wichtig?

Heike Weber: Die Dicke des Velours und die Farbe. Mir ist wichtig, dass die Zeichnung erhaben auf dem Boden des Ausstellungsraumes liegt – quasi wie ein begehbares Relief. Das führt dazu, dass der Besucher die Arbeit nicht nur sieht, sondern auch fühlt. Das dadurch kostbar erscheinende Material beeinflusst die Bewegung des Betrachters im Raum. Und das Rot erscheint tief und matt durch den dichten Velours. Es gibt keine Spiegelung – keine Reflexion, und man wird förmlich von der Farbe aufgesogen. Ich habe Rot verwendet, weil es für mich die körperlichste und leidenschaftlichste Farbe ist. Man könnte fast sagen: Ich male mit Teppichboden, aber mich interessiert die Zeichnung. In der Linie liegt „die Zeit“ und das „Hier und Jetzt”.

Welche Werkzeuge haben Sie verwendet?

Heike Weber: Den Cutter, viele Assistenten, Selbstklebefolie und Hubwagen/Steiger zum montieren der Arbeit.

Sie haben einmal gesagt: „Ich arbeite wie ein Seismograf und zeichne ein Echo des Raumes." Wenn Sie dieses Echo nun mithilfe eines Teppichbodens zeichnen, verändert dieser Teppichboden nicht wiederum die Intensität der „Erschütterungen“ im Raum? Ein ewiger Zyklus?

Heike Weber: Das Zitat bezieht sich auf meine architekturbezogenen Boden- und Raumzeichnungen, die ich mit Edding-Markern wie Schallwellen auf die Wände oder Elemente im Raum beziehe. Aber natürlich ist der Gedanke – auf den Teppichboden übertragen – interessant. Die Teppichbodenarbeiten sind freier konzipiert und nehmen den Raum als Bildträger, beziehen sich aber nicht direkt auf den Grundriss wie in „Bodenlos”. Das Material „Teppich” absorbiert den Schall. Man fühlt sich wie in einem geschlossenen, geschützten Raum. Der Teppich suggeriert Geborgenheit, aber die Zeichnung entgrenzt den Raum, und man verliert den Boden unter den Füßen. Es ist ein Spiel mit den Gegensätzen, was sich in meinem Werk immer wieder findet.

Wie reagierten die Besucher der Ausstellung auf die Installation? Gab es so etwas wie „Berührungsängste“?

Heike Weber: Ja, die Berührungsängste gab es, denn darf man ein Kunstwerk betreten? Das war im Museum Marta wirklich interessant, da viele Besucher sich nicht getraut haben, den Teppich zu berühren und stattdessen in die Zwischenräume getreten sind. Nur Kinder nehmen das unmittelbarer war – entweder versuchen sie, die Kreise nachzugehen, oder sie springen in die „Löcher”. Ein begehbares Kunstwerk verlangsamt den Schritt und ich glaube, der Betrachter merkt, dass er in dem Moment Teil des Ganzen ist.

Was sind Ihre nächsten Projekte, woran arbeiten Sie gerade?

Heike Weber: Dieses Jahr werde ich neben anderen zwei große Kunst-am-Bau-Projekte realisieren. Zum einen eine Wandmalerei für das Foyer des Bundesbeschaffungsamtes in Bonn, bei der wiederum die Gummiringe Grundlage des Entwurfes sind. Zum anderen für das Foyer des Operativen Zentrums der Universitätsklinik in Düsseldorf, wo ich die vier Aufzugstürme komplett mit der filigranen Linienzeichnung „Utopia“ versehen werde. Außerdem ist ein Projekt zusammen mit vier weiteren Kollegen im Goethe Institut Prag geplant, das vom Intendanten des Kunstmuseums Bonn, Stephan Berg, kuratiert wird.

Frau Weber, besten Dank für das Gespräch.