Kunstforum Bd. 141,

Sabine Müller anläßlich der Ausstellung „Salonstücke 6“
Städtische Galerie Villa Zanders, Bergisch-Gladbach, 1998

Der repräsentative Salon der Villa Zanders ist ein schönes Beispiel großbürgerlicher Ausstattungskunst aus den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Die elegante Stukkatur der Wände mit den großen Flügeltüren und Fenstern, der Parkettboden, der Marmorkamin, der Lüster – all diese sorgfältig aufeinander abgestimmten Requisiten post-feudaler Lebensart bilden eine fest installierte Einheit. Die jungen Künstler, die unter dem Titel „Salonstücke“ hier auf den Raum bezogene Arbeiten entwickeln, finden eine Situation mit ausgeprägtem erzählerischem Charakter vor, die gleichzeitig museal ist.

„Salonstücke 6“ wurde von Heike Weber ausgerichtet. Seit langem befaßt sie sich mit Räumen als soziale Einheit, deren architektonische und materielle Strukturen die Selbstwahrnehmung des Benutzers/Betrachters steuern. Ihre Manipulation der Wände, oder wie in diesem Fall, des Fußbodens, werden nicht immer sofort als solche erkannt. Materialien, die nicht zum Hinschauen bestimmt sind, wie Haarnetze, Tintenkiller oder die Rückseite eines Bodenbelages, führen zu einer fortschreitenden Verunklärung der Raumgrenzen, einer bestürzenden Empfindung der Instabilität. Die Mimikry der Mittel macht es dem Betrachter unmöglich, sich auf einen gesicherten Standpunkt zurückzuziehen. Eine weiche Invasion, die auf die eigene Balance zielt.

Faszinierenderweise liegt der verwildernden Dynamik der Arbeiten eine sehr strenge, fast monoton zu nennende Struktur zu Grunde, die sie fest mit dem Raum verklammert und davor bewahrt, ins Leere zu laufen. Heike Weber hält an den Gesetzmäßigkeiten des Raumes grundsätzlich fest – bis zur äußersten Grenze der Belastbarkeit. Im Salon der Villa Zanders wurde ein PVC-Bodenbelag sauber verlegt, mit seiner weißen Rückseite nach oben. Auf diesem Grund wurden mit roten Permanentmarkern die Konturen des Raumes von außen nach innen nachgezeichnet, Linie an Linie, bis der Fußboden mit immer kleiner werdenden Umrisszeichnungen gänzlich ausgefüllt war. Dabei wiederholt die erste der handgezogenen Linien gewissenhaft die Geraden und rechten Winkel der Wände, Vorsprünge und Profilierungen. In jeder weiteren Linie wurden auch die Unregelmäßigkeiten der vorangegangenen Linie wiederaufgenommen, so daß die Geometrie des Raumes bis zum Zentrum fortgesetzt, aber wie durch wellenartige Verwerfungen verzerrt erscheint.

In der Bewegung im Raum läßt sich die simple Natur der Bodenzeichnung leicht durchschauen, das verunsicherte Körpergefühl wehrt sich aber gegen die rationale Einsicht. Bei jeder Drehung verändert sich die Perspektive. Ist die Schrittrichtung mit der Linienzeichnung identisch, wirkt der gleichmäßige Fluß der Zeichnung zerdehnend, der Boden scheint nachzugeben – verläuft sie quer zu den Linien, glaubt man sich einem kaum begehbaren Relief ausgesetzt. Wie Wegweiser führen die Linien letztlich zu den Wänden zurück, von deren großen Spiegelflächen sie wieder reflektiert werden. Der Vergleich mit einem seismographischen Feld drängt sich auf. Als ob eine durch ein Erdbeben oder eine Detonation hervorgerufene Erschütterung der Wände sich dem Fußboden eingeschrieben hätte in kleinen Wellen, die wieder zu den Wänden zurücklaufen und so fort.